Kaunertaler Gletscherkaiser 2007 oder die Strafe der flachen Heimat: Cosmas' Rennen

(alternativ: Renis Version)

Vor dem Start

Was macht man, wenn man so langsam in das Alter kommt, wo selbst mit allergrößter Anstrengung die Form nur noch zu halten, aber nicht mehr zu steigern ist? Wo mit anderen Worten der unaufhaltsame Abstieg immer näher kommt?

Man trainiert die Reni und hofft, dass sie die "Familien"-Ehre im Kaunertal rettet...

Na ja, ganz so war es doch nicht. Eigentlich hatte das Frühjahr nach einem schleppenden Beginn doch noch ganz ordentliche Trainingsergebnisse gebracht. Im Unterschied zu den letzten Jahren hatte ich mich diesmal ganz auf kürzeres, aber hartes Training vor allem an den Bergen konzentriert und die langen Ausdauerfahrten dafür etwas zurückgestellt. So in etwa ab Mai fing es dann endlich wieder an, bergauf richtig Spaß zu machen, und nachdem ich -zig mal Hausen vor der Höhe und etliche Male (allein 3x an einem Tag) den Feldberg hochgejagt war, fühlte ich mich halbwegs vorbereitet für die Alpen.

Bis kurz vor dem Start lief dann alles wie am Schnürchen. Der Veranstalter hatte uns netterweise unsere Startunterlagen zum Privatzimmer gebracht, am Morgen vor dem Start konnten wir also ganz entspannt die 19km nach Ried radeln, wo das Rennen diesmal statt in Landeck begann. Am Vorabend waren wir noch nach der Zugfahrt locker 20 km gerollt, und ich fühlte mich nach einigen Wehwehchen in der Woche zuvor recht gut. Reni war da noch nicht so ganz sicher - die spezielle Vorbereitung mit 4 Wochen Intervall- und Bergtraining mit anschließender "Entlastungswoche" inklusive Protein- und Kohelhydratphase war etwas ganz Neues für sie, und immer wieder musste ich ihr in der letzten Woche versichern, dass die gute Form halt erst nach Ablauf der Entlastungszeit punktgenau kommen würde. "Ich fühl' mich überhaupt nicht fit", hatte sie bis zuletzt gejammert, aber ich war sicher, dass das Carbo-Bunkern mit tellerweise Nudeln und Reisbrei sich noch auszahlen würde...

Meine Nervosität wandelte sich unmittelbar vor dem Start immer mehr in pure positive Energie um: ich konnte es kaum noch erwarten und war richtig heiss auf den Start. Ich fühlte mich stark wie selten, das Wetter war super, alles ohne Hektik erledigt. Noch ein letztes Energiegetränk, nochmal auf's Klo und die Flasche gefüllt, dann konnte es losgehen. Damit, mich gleich in die erste Startreihe neben Vorjahressieger und Profi Traxl zu stellen, hatte ich schon überhaupt keine Probleme mehr.

Dann der Schock: beim gelangweilten Prüfen des Reifendrucks kam mir das Hinterrad ungewohnt weich vor! Das war doch gestern noch in Ordnung??!

Ich rase mit dem Rad aus dem Startfeld wieder heraus zu einem Auto, das gerade losfahren will, frage nach einer Pumpe. Tatsächlich haben die Leute eine, ich pumpe hektisch und - die Luft zischt wieder heraus. Genau dort, wo ich den Schlauchreifen schon einmal mit Tufo-Dichtmittel geflickt hatte, was seitdem auch tadellos hielt. Aber jetzt läuft das weisse Zeug aus dem Loch heraus, bis der Reifen wieder bei den geschätzten 5-6 Bar von eben ist.

Den Gedanken, nochmal zu meinem gerade abgegebenen Rucksack zu eilen und den Reifen nochmal zu dichten oder gar mit dem Reservereifen zu ersetzen, schlage ich mir gleich wieder aus dem Kopf: es sind nur noch 7 Minuten bis zum Start. Mann, wieder ein aus eigener Schuld versautes Rennen! Und da macht sich plötzlich ein ganz ruhiger Fatalismus in mir breit: entweder die Luft hält jetzt auf dem Stand - oder eben nicht. Immerhin fährt Reni ja das Rennen, und danach sind wir noch 3 Tage hier zum Tourenmachen. Also was soll's? Irgendwie werde ich schon ins Ziel kommen...

Der Startschuss

Es geht neutralisiert hinter dem Führungsfahrzeug erstmal runter, dann nur rund 2-3 km flach über eine Nebenstraße zum Eingang des Kaunertals in Prutz. Das ist für mich eigentlich besser als in den Vorjahren, wo ich auf den ersten relativ flachen 16 km von Landeck aus schon ziemlich Körner ließ. Es gelingt tadellos, vorne zu bleiben. Im Gegensatz zu früher, wo dann der erste Teil des Kaunertals nach der langen Flach-Phase eher getrödelt wurde, zieht das Tempo dafür diesmal nach der Freigabe in Prutz gleich ordentlich an. Also Renntempo. Ich komme aber gut mit, bin konzentriert, mache mir aber immer wieder Gedanken wegen meines schlappen Reifens. Immerhin, er scheint zu halten.

Alle paar Minuten gibt es Attacken, die Spitze ist aber noch bis hinter der Mautstelle ziemlich groß. Ich weiss genau: gleich kommt der erste richtig steile Abschnitt, da wird mindestens Traxl versuchen, die Gruppe auseinander zu fahren. Genauso kommt es, diesmal kann ich aber, so scheint mir, wesentlich leichter als letztes Jahr mitgehen. Dafür hat Traxl anscheinend beinahe seinen Teamkollegen abgehängt, ich sehe, wie die beiden kurz miteinander reden, als der andere wieder dran ist. Auch Oswald, letztes Jahr einen Platz vor mir dritter, scheint mehr Schwierigkeiten als ich zu haben, ich muntere ihn auf: "komm', die kriegen wir gleich wieder!" Ich fühle mich immer noch klasse: Na, war das alles? Attackiert nur, ihr Säcke, so leicht werdet ihr mich nicht los. Der Sprecher wird später sagen, dass Traxl und Frauenschuh (ebenfalls Profi) hier bereits schon einmal ausgerissen sind und später eingefangen wurden, aber eigentlich fahren immer wieder mal ein oder zwei Leute vor der Gruppe her und fallen wieder in sie zurück. Ein echter Ausreissversuch war das noch nicht.

Mittlerweile sind wir noch etwa 15-20 Leute, wenn ich mich umdrehe, ist die nächste Gruppe nicht zu sehen. Ich führe öfter auch mal, fahre an einem langen Flachstück hinter dem Auto her, aus dem fleißig gefilmt wird. Na, hoffentlich sieht man mich auch hinterher :-) (Anmerkung: natürlich nicht). Dann kommt der Anstieg zur Staumauer, die erste der 29 durchnummerierten Serpentinen bis ins Ziel, und jetzt wird es doch noch etwas härter. Letztes Jahr bin ich hier abgehängt worden und musste die 7 km am See entlang zu zweit hinter der Gruppe herhetzen; das will ich mir diesmal um jeden Preis ersparen, auch wenn wir sie damals hinter dem See wieder gekriegt haben.

Mit aller Gewalt schaffe ich es, noch vor dem Ende der Steigung wieder Anschluss an die auseinandergefallene Restgruppe zu bekommen. Traxl und Frauenschuh sind allerdings weg, und wir sind nur noch zu acht. Nun gut, Top Ten wäre also schonmal sicher, so lange die Luft hält. Das Tempo geht nach dem Sammeln sofort runter. Einer greift sich an der Verpflegungsstelle ("Labestation") eine Flasche, die dann ringsum gereicht wird. Auch ich kriege noch einen Schluck ab. Wir rollen weiter mit 35 den See entlang, drücken uns Gels rein, bis es Oswald, der sich wieder erholt hat, zu langsam wird: er prescht vorbei. Ich hänge mich rein, der Rest kommt mit, die letzten 3 oder 4 km am See rauschen wir mit 45-47 km/h durch und kommen dem Führungsduo vorne jetzt doch wieder etwas näher. Nach wie vor geht es mir aber gut, deutlich besser als letztes Jahr, wo ich mich hier fast kaputtfuhr und dann nach dem See trotzdem noch 3 Plätze gut machte.

Der Schlussanstieg

Es kommt der "finale Anstieg", die 2. Hälfte mit nochmals rund 1000 Höhenmeter auf 13 km. Und jetzt mache ich vielleicht gerade, weil ich mich noch so fit fühle, einen Fehler: ich erinnere mich, dass ab hier eigentlich ein Bergzeitfahren begann und die Zeit der Taktik vorbei war. Als also die 8 das Tempo nochmals steigere, denke ich mir: Letztes Jahr habt ihr das auch nicht durchgehalten, und ich habe noch drei geschluckt. Ihr werdet schon noch langsamer werden, und dann mal sehen, wer zuerst oben ankommt. Aber ich habe völlig vergessen, dass nach den ersten 2 Kehren oder so erst nochmal ein längerer flacher, sogar leicht abschüssiger Teil kommt. Als ich die verbliebenen 6 also sich langsam von mir entfernen lasse, rächt sich das an diesem Flachstück bitter, denn der Abstand wächst plötzlich stark an. Ich gebe alles, um wieder heranzukommen, aber da geht es schon wieder rauf, und dann kommt sogar noch einmal ein flacher Abschnitt, wo ich das Ziel, den Abstand zu minimieren, endgültig begrabe. Jetzt geht es nur noch darum, wenigstens nicht von hinten überholt zu werden. Ich fahre ohne Unterbrechung so schnell es halt geht, und das sind nur noch 11 oder 12 km/h mit 34-23er Übersetzung; hin und wieder bei Rückenwind oder in den Haarnadelkurven schalte ich auch mal für Sekunden ein oder zwei Gänge hoch und stemme mich ich den Wiegetritt, aber lange geht das nicht mehr.

Die letzten Kilometer

Ausser mir hat auch Oswald den Anschluss verloren, ich hole ihn bald ein, feuere ihn nochmal an, aber dieses Jahr geht es ihm wohl hier nicht mehr so gut; er fällt zurück, gerade umgekehrt wie letztes Jahr, wo er mir ungefähr an der gleichen Stelle fast eine Minute abgenommen hat. Ein weiterer der verbliebenen 5er-Gruppe taucht bald zwei Serpentinen über mir auf, ich fange an zu rechnen: welchen Platz habe ich jetzt? Kriege ich den noch? Tatsächlich schrumpft die Differenz immer mehr, aber wenn ich versuche, noch eins draufzulegen, merke ich: schneller geht's einfach nicht. Das wird knapp.

Schließlich sehe ich die letzte weitgeschwungene Kurve ins Ziel und schalte hoch: der Abstand beträgt nur noch ca. 50 m, wenn ich mich jetzt unbemerkt heransauge, könnte ich vielleicht auf den letzten Drücker vorbeispurten. Aber er dreht sich um und sieht mich, beschleunigt; aus. Mehr Kräftereserven kann ich jetzt nicht mehr mobilisieren.

Also nehme ich das Tempo wieder raus und fahre nach 1:47:13 ganz normal ins Ziel, 25 Sekunden nach dem Siebten. Gewonnen hat erwartungsgemäß wieder Traxl, diesmal habe ich gegenüber den 3 1/2 Minuten vom letzten Jahr noch eine weitere Minute mehr Abstand zu ihm, und es waren einfach doch mehr starke Fahrer hier, die sich noch dazwischen quetschen konnten: letztes Jahr nur 2 (der Zweite und Oswald), diesmal 6. Da hilft dann alles Training nix mehr, härter hätte ich heute nicht fahren können. Lediglich den Fehler, nach dem See allzuleicht eine Lücke entstehen zu lassen, hätte ich nicht begehen dürfen, aber mehr als 1 bis max. 2 Plätze hätte das auch nicht gebracht.

(Und der platte Reifen? Ach was... Nach etwas Aufpumpen mit der Handpumpe aus dem Rucksack hat der mich nach der Siegerehrung sogar noch sicher runtergebracht, und zwar schneller als die meisten trotz (oder wegen?) angeblich schlecht bremsender Carbon-Felgen.

Sogar die restlichen Touren bin ich noch damit gefahren, nachdem ich etwas Gummilösung nachgefüllt hatte und jeden Tag nachpumpte...)

Renis Rennen und Warten auf die Siegerehrung

Im Ziel werde ich von Frank Rietzler, dem Veranstalter, der uns gestern die Startnummer gebracht hat, beglückwunscht: einen 8. Platz hatte er mir wohl nicht zugetraut. Ich bin aber gar nicht happy und meine, dass Renis Ergebnis ja noch besser werden kann.

Nachdem ich mich reichhaltig mit den Energiegetränken im Zielbereich gestärkt habe, ziehe ich mir die Windjacke aus dem oben schon wartenden Rucksack an und fahre ein paar Serpentinen runter, um Reni anzufeuern. Dass sie nicht die erste Dame insgesamt ist, ist mir schon klar: die Vorjahressiegerin Karin Gruber ist mit einer unglaublichen Zeit von 1:58h schon eine Weile da. Aber das wäre auch ein Wunder gewesen. Trotzdem, in ihrer Altersklasse W40 ist noch einiges drin. Als sie dann an mir vorbeifährt, erkenne ich sie zuerst gar nicht: Reni mit (neuem) Helm! Sonst erkennt man Reni ja immer an ihrem ausladenden Haarschopf...

"Die vor dir sind alle jünger! Hopp, ist nicht mehr weit ins Ziel!" Aber Reni ist nicht mehr begeisterungsfähig, sie will nur weiter ihr Tempo fahren und ihre Ruhe haben. Ich fahre nur kurz neben ihr her, dann fahren wir auf einen Fotografen zu, und ich will nicht, dass ich mit auf's Bild komme, sonst sieht es noch so aus, als wäre ich die ganze Zeit mitgefahren...

Auch Reni ist schließlich im Ziel, und nach Trinken und Bildermachen gehen wir ins Gletscherrestaurant, um Nudeln zu essen und auf die Siegerehrung zu warten. Renile wird bestimmt auf's Treppchen kommen, da bin ich mir - im Gegensatz zu Reni selbst, der alten Selbstzweiflerin - sicher; aber bei mir ist das schon sehr unwahrscheinlich. Da müssten schon lauter viel jüngere oder deutlich ältere in der 5er-Gruppe vor mir gewesen sein.

Nun, sie waren es nicht: lediglich 1 "Herren-2" und 1 "Herren-4" waren vor mir, somit werde ich 6. in der Altersklasse Herren-3.

Renis Ergebnis liest man sich am besten von ihr selbst beschrieben durch.

Die Touren

Immerhin waren wir ja noch weitere drei Tage in Landeck, und so konnte ich die Schlappe vom Gletscherkaiser zumindest durch ein paar schöne Touren mit Reni etwas "ausgleichen".

Bis auf das Ende des letzten Tages, den wir getrennte Touren fuhren (wenn auch teilweise auf gleichen Teilstrecken: Reni fuhr nach der Silvretta von Bludenz aus direkt über den Arlbergpass, ich machte noch einen kleinen Umweg über Walsertal und Hochtannbergpass), hatten wir weiterhin mit dem Wetter viel Glück.

Einen genaueren Bericht der Touren erspare ich allen diesmal, statt dessen (ein Bild sagt mehr als Tausend Worte) gibt's erstmals eine umfassende Fotoreportage.






Hier die Ergebnislisten

Renis Rennen

Veranstalter-Bilder von den Siegerehrungen

Schöne Beschreibung der Kaunertaler Gletscherstraße mit Bildern bei quaeldich.de

Das Rennen 2006: Vorjahresbericht
Cosmas Lang